In Deutschland droht die industrielle Kernschmelze

Von Dr. Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer Gesamtverband textil+mode

16.09.2022

Die Kostenexplosion bei den Energiepreisen hat einen Punkt erreicht, der für große Teile der mittelständischen Industrie nicht mehr zu verkraften ist. Wer vergangenes Jahr noch 500.000 Euro für seine Energierechnung bezahlte musste, liegt jetzt bei fünf Millionen Euro für den gleichen Energiebedarf. Das ist so, als ob wir für das Stück Butter jetzt mehr als 20 Euro zahlen müssten. Preissteigerungen bei Gas und Strom von 1.000 Prozent und mehr haben die Grenze der Verkraftbaren überschritten. Solche exorbitanten Kosten kann die Industrie nicht ansatzweise an ihre Kunden weitergeben. Made in Germany ist sowohl in Deutschland als auch im Export nicht mehr konkurrenzfähig.

Es ist keine Übertreibung, dass die jetzige Energiepreissituation unzählige Unternehmen zum Aufgeben zwingen wird mit irreversiblen Folgen für die Lieferketten, die Wertschöpfung und die Arbeitsplätze in unserem Land. Schon jetzt müssen gesunde Unternehmen mit vollen Auftragsbüchern ihre Produktion herunterfahren, weil der laufende Betrieb aufgrund der astronomischen Energiekosten zu massiven Verlusten führt. Uns erreichen zunehmend Meldungen aus Mitgliedsunternehmen, die aktuell Lieferverträge für Strom und/oder Gas abschließen müssen, weil die Kontrakte auslaufen. Die jetzt aufgerufenen Preise sind aber so absurd hoch, dass ein Abschluss zu diesen Konditionen nicht denkbar ist. Die Unternehmen stehen vor der Frage, Insolvenz anzumelden oder die Produktion still zu legen, obwohl es genügend Aufträge gibt. Deutschland steht vor einer industriellen Kernschmelze!

Die Zeit der parteitaktischen Spielchen muss vorbei sein. Pragmatismus ist gefragt! Auch was die Verstromung von Kohle und die Verlängerung der Laufzeiten der drei noch am Netz befindlichen AKW angeht. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um pragmatische Übergangslösungen in einer schweren Krise. Und es geht auch um die Frage, ob wir nicht auch das eigene Gas im Land fördern sollten. Wir brauchen eine Verschlankung der Genehmigungsverfahren, damit die Energiewende in unserem Land endlich in großen Schritten voran gehen kann. Wir brauchen neue Solar- und Windkraftanlagen, neue Netze, neue Trassen und grünen Wasserstoff in großem Stil. All das brauchen wir jetzt und zwar schnell.

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